Quo vadis Fachzeitschriften?
[Abstract: From looking at current issues of .NET developer magazines in Germany I get the impression, their current format is outdated. Publishing software development content primarily on paper does not really cater to the needs of developers anymore. That way not enough relevant topics can be covered in each issue to make most of the readers happy most of the time. I thus propose a shift of focus from offline to online. What we need are magazines (i.e. information filters) we can customize.]
Bei der Lektüre der letzten Ausgaben von dotnetpro und dot.net Magazin ist mir (wieder) aufgefallen, wieviele Artikel ich einfach überblättere. Früher habe ich die BasicPro immer komplett gelesen, auch anfangs noch die dotnetpro. Aber nun tue ich das schon lange nicht mehr. Ich lese auf jeden Fall die Editorials und Marcellus Buchheits Kolumne im dot.net Magazin. Und dann blättere ich durch und lese 2,3,4 Artikel - und das war´s.
Aber welche Artikel lese ich? Ich lese zunächst einmal die für mich wichtigen Artikel. Wichtig definiere ich als: passt zu meinen Spezialisierungsgebieten. Das sind derzeit Softwarearchitektur, Enterprise Programming und Datenbankzugriff. Wenn ich dann noch Zeit habe, dann lese ich Artikel, deren Themen mich irgendwie auch noch interessieren.
Früher habe ich den allergrößten Teil einer BasicPro als wichtig erachtet und der Rest war meist auch noch interessant. Das lag natürlich von 1998 bis 2001 auch daran, dass ich Chefredakteur der BasicPro war ;-) Vorher und nachher war das jedoch kaum anders. Eine Veränderung im Leseverhalten hat sich für mich merklich erst in den letzten 2-3 Jahren eingestellt. Auslöser war ganz einfach ein Gefühl von "Ich kann nicht mehr!": Ich kann nicht mehr all das lesen und aufnehmen und mir merken und womöglich ausprobieren, worüber berichtet wird.
Technologische Marksteine sind da für mich BizTalk, SharePoint und ASP.NET. BizTalk und SharePoint sind Technologien, die für Entwickler unbedingt relevant sind - und dennoch habe ich mich mit ihnen nicht befasst. Sie sind als Produkte so aufwändig und auf so spezielle Szenarien zugeschnitten, die mit meiner Projektwelt wenig zu tun haben, dass ich sie getrost ausblenden kann. Ich verstehe grob, was sie tun; das reicht mir. Bei ASP.NET verstehe ich natürlich viel besser, wie es funktioniert, aber ich habe schon lange keine Lust mehr auf das "Rumgefrickel" mit HTML und das umständliche Programmiermodell, so dass ich auf Fortbildung in diesem Bereich verzichte. Für meine Projektarbeit haben nähere ASP.NET-Kenntnisse keine Relevanz.
Die Entscheidung, konsequent (!) keine ASP.NET-Artikel mehr zu lesen, war dann ungemein befreiend, ebenso, mich nicht mit SharePoint, SQL Reporting Services, Active Directory oder Smart Tags sowie vielem anderen zu beschäftigen. Es fühlt sich so gut an, ohne schlechtes Gewissen, Artikel zu diesen Themen einfach überblättern zu können. So kann ich nämlich meine begrenzte Zeit viel effektiver den Themen widmen, die für mich wirklich wichtig sind, meinen Spezialgebieten. Zu denen allein gibt es nämlich genug zu lesen; auch ohne links und rechts zu schauen, könnte ich damit meine ganze Zeit füllen.
Ok, soviel zu meinem Arbeitsansatz: Auf wenige Spezialthemen fokussieren, um dort kompetent bleiben zu können. Vor allem das lesen, was im Sinne dieser Themen wichtig ist.
Was bedeutet das aber für die dotnetpro und das dot.net Magazin und auch noch für das MSDN Magazine, CoDe Magazine und iX? Hier eine Analyse der Jahresendausgaben von dotnetpro und dot.net Magazin im Hinblick auf Spezialisierungsgebiete, die das Professional Developer College (PDC) als zukünftig wichtig ansieht:
- Desktop Clients
- Web Clients
- Mobile Computing
- Enterprise Programming
- Data Access Security
- Office Integration
- Software Production
- Deployment/Administration
- Software Quality
- Software Architecture
Microsoft hat mit VSTS auch vier Spezialisierungen ausgerufen, allerdings sehr grobe: Entwickler, Architekt, Tester und Datenbankspezialist. Für die Diversifizierung eines Produkts wie VS mag das ausreichen, aber nicht für die Aus- und Fortbildung von Softwareprofis. Wer kompetent bleiben will, muss sich viel stärker fokussieren, sonst verliert er den Anschluss. Beredtes Beispiel dafür ist mir die Antwort auf eine Frage ans Publikum auf der prio: Ich hatte gefragt, wer denn wüsste, was IBF sei. Von knapp 100 Teilnehmern in meinem Vortrag hob einer die Hand. Die anderen wussten nicht, worum es geht. Wie aber können sie dann beurteilen, ob und wie IBF für ihre Projekte von Vorteil sein könnte? (Auflösung: IBF steht für Information Bridge Framework und gehört für das PDC zu den Technologien, mit denen sich ein Office Integration Specialist beschäftigt.) Irgendetwas scheint falsch mit der Wissens-/Technologievermittlung an die Community.
Aber zurück zur Fachzeitschriftenlektüre. Im Hinblick auf die PDC Spezialisierungsgebiete habe ich mir die aktuellen Ausgaben angesehen und einmal die Artikel diesen Spezialgebieten zugeordnet. (Den Spezialthemen habe ich noch eine Rubrik für Artikel, die grundlegend und damit für alle interessant sind, hinzugefügt und die Rubrik "Sonstiges" für Artikel, die eher vielleicht einer Fachdomäne zuzuordnen, weniger technisch oder sehr speziell technisch sind, ohne zu einem der Spezialgebiete zu gehören.) Hier das Ergebnis:
Was fällt auf:
- Beide Magazine decken fast dieselbe Anzahl verschiedener Spezialthemengebiete ab (10 und 9). Sie sind thematisch also sehr breit angelegt.
- Keinem Spezialgebiet werden mehr als 4 Artikel gewidmet, d.h. höchstens zwischen 16%-25%.
- Der jeweilige Heft-Schwerpunkt ("Mobile Daten" im dot.net Magazin und "Außenwelt" bei der dotnetpro) spiegelt sich nicht in einer Häufung von Artikeln in einem Spezialgebiet wider. Beim dot.net Magazin ist vor allem der "Desktop Client" mit 4 Artikeln stark vertreten, bei der dotnetpro liegt "Sonstiges" mit 6 Beiträgen vorn (ansonsten die Client-Programmierung mit insg. 7 Beiträgen).
- Eigentlich alle Artikel fallen in nur eine Rubrik.
Hinzu kommt - aber das ist aus dieser einen Analyse nicht herauszulesen, sondern ergibt sich erst bei einer Betrachtung über mehrere Ausgaben -, dass die Gewichtung der einzelnen Spezielisierungsthemengebiete von Ausgabe zu Ausgabe wechselt. In den aktuellen Ausgaben liegt der de facto Schwerpunkt bei der Client-Entwicklung (7 bzw. 6 Artikel. d.h. 26% bzw. 37%).
Aus dieser Analyse ergeben sich für mich die folgenden Ergebnisse:
- Die Zeitschriften bieten ein breites Themenspektrum.
- Eine Integration von Spezialisierungsgebieten innerhalb von Artikeln findet im Grunde nicht statt.
Was bedeutet das für jeden einzelnen Entwickler?
- Wenn ich die Notwendigkeit zur Spezialisierung im Sinne der obigen Spezialgebiete (oder ähnlicher) einmal als Prämisse und Notwendigkeit setze, dann bedeutet die aktuelle Ausrichtung der auflagenstärksten deutschsprachigen .NET-Fachmagazine, dass mit ihnen eine verlässliche, konsequente Fortbildung nicht möglich ist. Als Entwickler mit den Spezialgebieten A und B kann ich nicht sicher sein, dass in jeder Ausgabe ein erheblicher Teil des Inhalts auch auf A und B entfällt.
- Da wo Spezialisierung notwendig wird, um die Vielfalt der Optionen zu beherrschen (auch z.B. in der Medizin), da muss der zwangsläufig daraus resultierenden Tendenz zum Tunnelblick natürlich entgegengewirkt werden. Dialog über Spezialisierungsgrenzen hinweg wird nötig. Dieser Dialog findet in den Magazinen jedoch nicht statt, da Artikel nicht spezialgebietsübergreifend sind.
Positiv formuliert leisten die Fachzeitschriften das, was sie leisten wollen: Sie berichten sehr breit über das ständig wachsende Gebiet .NET. Sie erfüllen also die Aufgabe einer allgemeinen "Illustrierten für den interessierten .NET-Entwickler". Wer also beim Friseur oder im ärztlichen Wartezimmer eine breite, kurzweilige Lektüre bevorzugt, der ist gut bedient. Man kann hier und dort mal schnuppern und findet dann ja auch noch zu den eigenen Themen passende Artikel.
So ist der status quo. So kennen wir es von den Fachzeitschriften. Aber ist das auch gut so und ein Rezept für die Zukunft? Ich meine, nein.
Die Fachzeitschriften sollten anerkennen, dass uns eine breite Berichterstattung immer weniger hilft. Bei gegebenem Umfang kann auf Dauer bei wachsendem abzudeckendem Gebiet der Raum, in dem einzelne Themen besprochen werden können, nur kleiner werden. Damit ist aber keine Fortbildung mehr möglich. Denn Fortbildung bedeutet eine verlässliche Menge an Informationen zu wirklich Relevantem.
Werden Zeitschriften damit in Zukunft vielleicht überflüssig und Bücher bzw. die Summe der Angebote im Internet übernehmen die Fortbildung? Nein, das glaube ich nicht. Fachzeitschriften redaktionell betreute, periodische Push-Medien sind weiterhin wichtig. Sie nehmen womöglich sogar an Wichtigkeit zu. Google ist also nicht die Antwort.
Für mich sieht die Antwort vielmehr so aus:
- Die Fachzeitschriften müssen sich so organisieren, dass sie konstant zu jedem Spezialgebiet eine kritische Menge an Inhalten publizieren, z.B. pro Monat min. 4 Beiträge pro Spezialgebiet, also 4*(10+1+1)=48.
- Fachzeitschriften müssen es zulassen, dass Leser sich die für sie relevanten Inhalte selbst zusammenstellen können.
- Leser sollen im Wesentlichen nur für das bezahlen, was sie lesen.
Realisierbar scheinen mir diese Ziele und damit das Überleben der Fachzeitschriften nur, wenn ein grundsätzliches Umdenken stattfindet. Der Fokus muss vom offline Medium zum online Medium bewegt werden. 48 Beiträge pro Monat können nicht auf Papier bezahlbar veröffentlicht werden. Diese Menge und Vielfalt sind aber nötig, um Fortbildung zu ermöglichen. Im Internet ist die Veröffentlichung aber kein Problem und wird sogar noch flexibler, weil schriftliche Inhalte dort gleichberechtigt neben Videos und Podcasts stehen können. Es kommt im Internet auch nicht mehr so sehr auf eine bestimmte Länge von Beiträgen an; sie können also auch themenangemessener dimensioniert werden.
Online ist dann auch eine viel flexiblere Bezahlung möglich. Pay per view funktioniert dort genauso wie ein Abo. Statt eines one size fits all Abos kann es im Internet aber auch viel flexiblere Abos geben, z.B. Abos, die pro Monat eine bestimmte Artikelanzahl aus allen Sparten abdecken, oder Abos, die sich auf eine bestimmte Menge von Spezialgebieten, aber dann alle dorthinein fallenden Beiträge beziehen.
Der Wunsch nach Beiträgen auf Papier kann bei einem Fokus auf online Veröffentlichung auf zweierlei Wegen erfüllt werden: Zum einen können Artikel in druckbarer Form angeboten werden (vielleicht nur für Abonennten?). Zum anderen kann aber auch zusätzlich noch ein Auszug von Beiträgen in Heftform erscheinen, z.B. ein Special mit Beiträgen zu einem Oberthema oder ein periodisches "Best of". Durch Print-on-Demand ließen sich vielleicht auch Beiträge in größerer Zahl auf Abruf in Buchform bestellen.
Die Fachzeitschrift als redaktionell betreutes, aktuelles Push-Medium ist für mich also nicht tot. Im Gegenteil! Wir brauchen den filternden Blick der Fachzeitschriften mehr denn je, weil er Orientierung im Technologie- und Konzeptdschungel ist. "Es uns mit Google selbst zu machen", ist demgegenüber oft umständlicher und braucht unsere Initiative. Die Zeitschrift hingegen kommt zu uns ins Haus gebrummt. Das ist viel bequemer. Vor allem, wenn man weiß, dass das, was darin steht, absolut und quasi 100% lesenswert ist.
Aber die Fachzeitschriften sollten die Zeichen der Zeit verstehen. Und wir als Entwickler sollten es auch. Wir und sie sollten daher druckbarer online Berichterstattung den Vorzug geben und uns in unserer Lektüre mehr fokussieren. Das kann nur Geld und Zeit sparen. Das Motto der Zukunft lautet: Customize your magazine!